Interview mit dem 1. Vorsitzenden – Jörg Mangold
Jörg Mangold erzählt über die Entstehung von ARAGUA und über seine faszinierenden Reisen in die Einsatzgebiete in Nepal.
Sie sind jetzt Vorsitzender und haben maßgeblich zur Gründung des Vereins beigetragen.
Jörg Mangold: Vor dem Verein gab es und gibt es noch ein Praxisprojekt „Über den Tellerrand“. Dabei wird im Wartezimmer meiner Praxis wartenden Kindern und Eltern aufgezeigt, wie unterschiedlich Familien auf dieser Erde wohnen, welche unterschiedlichen Bedingungen sie haben sich zu ernähren, in die Schule zu gehen, sich um ihre Gesundheit zu kümmern, mit welch andersartigen Problemen sie sich „herumschlagen“ müssen. Es gibt Bücher zu diesen Themen und wir haben eine Schulpatenschaft mit dem ersten Kind aus Nepal begonnen, um hier an einem Einzelbeispiel eine Jugendliche im Rahmen der Schulausbildung in einem Entwicklungsland begleiten zu können. Vor allem über das große Interesse der Mitarbeiter und Kollegen im Freundeskreis entstand die Initiative, diese Förderung auf eine breite Basis zu stellen und diesen Verein zu gründen.
Warum ausgerechnet Nepal?
Jörg Mangold: Dies geht auf einer Trekkingreise meinerseits im März/April 2007 zurück. Als jemand, der gerne wandert war eine Trekkingtour im Himalaya ein großer Traum und ein spezielles Interesse am tibetischen Kulturkreis führte mich dann mit meinem Reisepartner Rainer Gehrig (auch Gründungsmitglied von ARAGUA) nach Mustang, einer abgelegenen Gegend in Nepal, angrenzend an Tibet im Transhimalaya. Mustang war bis 1992 völlig abgeschlossenund ab da bis 2003 nur sehr eingeschränkt zugänglich. Auch jetzt besuchen recht wenige restliche Touristen diese Gegend aufgrund einer sehr teuren Treking-Gebühr. Wie erwartet war es eine beeindruckende Landschaft und es war spannend im tibetischen und buddhistischem Kulturkreis zu sein. Den nachhaltigsten Eindruck hat allerdings die Begegnung mit den Lebensbedingungen in einem der ärmsten Länder der Welt gemacht. Dies zeigt sich noch zugespitzt im Upper Mustang als einer Gegend, die so abgelegen sind, dass es keinen motorisierten Zugang gibt, dass man sie nur durch tagelange Fußmärsche bereist und die Versorgung über Tierkaravanen stattfindet.Für die Bewohner bedeutet die große Einschränkungen bzgl. ihrer Möglichkeit zu basaler Gesundheitsvorsorge, Zugang zu Bildung oder Weiter-entwicklung aus einer eher mittelalterlichen Lebensweise. Auch Kathmandu als Hauptstadt ist nachhaltig beeindruckend über seine Lebensart, Schönheit von Tempelanlagen und alten Gebäuden aber auch über seine bittere Armut und Slumssiedlungen.
Nepal wird eher mit Bergbesteigung, dem Mount Everest und Wandertouren in Verbindung gebracht.
Jörg Mangold: So ging es mir ehrlicherweise vor der Reise auch. Je nach Datenlage und Statistik gehört Nepal aber meist zu den zehn ärmsten Ländern dieser Welt, im aktuellen Ländervergleich mit Deutschland werden pro Kopf Einkommen im ganzen Jahr von zwischen 200€ und 300€ angegeben und es besteht eine Analphabetenraten von über 50%.
Sie kommen gerade von einer erneuten Reise von Nepal zurück. Was hat sich verändert? Was hat sich bestätigt?
Jörg Mangold: Leider hat sich wenig zum Positiven verändert für das gesamte Land Nepal. 2007 war alles in einer Art Aufbruchsstimmung, da nach langen Jahren von Auseinandersetzung fast bürgerkriegsähnlicher Art ein Friedensabkommen geschlossen war und alles gespannt auf die Wahl in 2008 blickte. Ich musste mir jetzt eine sehr resignierte Grundstimmung anhören, nachdem Regierungskoalitionen so oft wechselten und alle die derzeitigen Politiker als weitgehend korrupt einschätzen. Es ist eher zu einem Stillstand gekommen und zu einem weiteren Niedergang im Bereich des Tourismus. Jetzt gerade im Januar wird zwischen 9 und 10 Std./Tag der elektrische Strom abgeschaltet, da die Versorgung nicht ausreicht. Trinkwasser ist in vielen Bereichen des Landes gar nicht fließend vorhanden sondern nur an einem Dorfbrunnen, auch in den Städten nur stundenweise falls ein zentrales Leistungsnetz besteht. Gerade über das letzte Jahr sind Nahrungsmittelpreise z. T. Zwischen 30% und 40% angestiegen.
Was können Sie von außen und von Deutschland aus tun in einem solchen Land?
Jörg Mangold: Wir konzentrieren uns gemäß unserer Satzung und auch gemäß unseres Namens ARAGUAi(der steht für „Allgemeines Recht auf Gesundheit und Ausbildung“) auf diese zwei Bereiche. Ich bin fest überzeugt, dass das Ermöglichen von Bildung das Wesentliche ist, das wir aus den reichen Ländern den armen Ländern zur Verfügung stellen können. Besonders in einem Land wie Nepal, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann. Basale Gesundheit ist ein wichtiger Aspekt, da die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen lang genug leben müssen, um an Bildung überhaupt teilzunehmen und mit dieser Bildung etwas Gestalterisches anzufangen. Ich denke wir haben nicht das Recht von außen zu bestimmen, wie andere ihr Land regeln. Aber in dem wir einzelnen Menschen helfen, die kaum Zugang zu Bildungsangeboten haben aufgrund ihrer Armut, eine gute Schulbildung zu erlangen ist dies ein Beitrag zur Durchbrechung von Armutsschleifen, die sonst Generation für Generation weitergeführt werden. Ich sehe dies an den Familien, deren Kinder in der von uns geförderten Schule aufgenommen sind. Auch exemplarisch an einer Familie in Kathmandu, die wir fördern. Hier beide Eltern Analphabeten sind. Mr.Tenji Sherpa war der Koch unserer Tour. Seine 2 Mädchen obwohl jetzt 12 und 14 Jahre alt, lebten in einem abgelegenen Bergdorf bei den Großeltern und hatten noch nie eine Schule gesehen bis vor 2 Jahren als wir die Förderung begannen.
Wie sieht also Ihr Engagement dort konkret aus?
Jörg Mangold: Unser Hauptziel ist es einzelnen Kindern und Jugendlichen einen Schulbesuch zu ermöglichen. Das Hauptprojekt ist die Schule Lo Kunphen in Mustang, der beschriebenen abgelegenen Hochgebirgsregion. Die Schule, die wir sehr aktiv unterstützen besteht bereits seit 10 Jahren. Eine detaillierte Geschichte können Sie unter (LINK Geschichte Lo Kunphen einsehen) Es wird eine Ausbildung von Klasse 1-10 zum offiziellen landesweiten Schulabschluss angeboten. Das Besondere ist, dass in den Klassen neun und zehn zusätzlich eine Ausbildung in tibetischer Medizin zum Comunal Amchi Assistent, einer ebenfalls von der Regierung anerkannten Berufsgrundausbildung, angeboten wird und die Schüler arbeiten hart für diese beiden Prüfungen in der Klasse 10. Es ist die einzige Schule dieser Art in Nepal, die die tibetische Medizin weiter tradiert. Es besteht somit die besondere Hoffnung, dass die Schüler, die sich dann in anschließenden Kursen in tibetischer Medizin weiterbilden, mit ihren Kenntnissen einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge in ihren abgelegenen Bergregionen leisten können und dort hin auch zurückkehren.
Wie sieht der Aufwand aus, was braucht es dort?
Jörg Mangold: Wir suchen Sponsoren, die eine Schulplatz-Patenschaft übernehmen. Diese kostet 1€/Tag also 360€/Jahr. Damit wird ein Schüler komplett versorgt bzgl. Unterkunft, vor allem mit drei warmen Mahlzeiten am Tag, Schulkleidung, Schulmaterial, medizinischer Grundversorgung. Die Schule selbst nimmt kein Schulgeld. Es werden vordringlich Kinder aus armen Familien sowohl aus Lo Manthang selbst, aus den abgelegenen Dörfern in Mustang und zum Teil auch aus anderen Bergregionen, die recht weit entfernt sind, aufgenommen gerade wenn die Familie ein Interesse an der Ausbildung zum Amchi (=tibetischen Mediziner) hat.
1 €/Tag ist für unsere Verhältnisse kaum denkbar als Grundversorgung.
Jörg Mangold: Wenn Sie sich das jährliche durchschnittliche Einkommen anschauen, dann wird das schnell verständlich bei zwischen 200€ und 300€ im Jahr und das ist ein Durchschnitt. In den Bergregionen liegt dies nochmal mindestens die Hälfte niedriger. Hier leben Menschen oft von 0,50€/Tag und noch weniger. Sie überleben hauptsächlich durch ihre Subsistenz-Landwirtschaft auf kleinen Felder und einem sehr kargen Lebensstil. Ein einfacher Lehrer verdient etwa 80€ im Monat, so auch an unsere Schule. Die Lehrergehälter werden durch Partnerorganisationen, so KINOE aus England aufgebracht. Die Förderung der Schule angeschlossenen Klinik und Ambulatorien für tibetische Medizin wird vor allem durch die Vereinigung DROGKPA aus den USA unterstützt. Es gibt auch einzelne großzügige Spender, die in den letzten zwei Jahren einen erheblichen finanziellen Beitrag geleistet haben, um den Bau einer Winterschule in Pokhara zu ermöglichen.
Was ist eine Winterschule?
Jörg Mangold: Lo Manthang, der Sitz der Sommerschule, liegt auf 3 850 Höhenmetern. Es ist im Winter so kalt und durch Schnee und Eis bedeckt, dass weit über die Hälfte der Bevölkerung in niedrigere Gegenden auswandern. Eine Beschulung ist in den ungeheizten Räumen so gar nicht möglich. Daher wird schon lange ein Winterunterricht für 3 Monate ab Mitte November, Dezember, Januar bis Mitte Februar durchgeführt, der bislang in sehr engen gemieteten Räumlichkeit in der Stadt Pokhara statt fand, die ein gemäßigtes Klima hat auf 800 Höhenmeter. Ich habe jetzt gerade im Januar 2010 die erstbezogene eigene Winterschule besucht, die schön gelegen ist und ein besseres Klima für die Kinder zum Wohnen, Leben und zum Schulbesuch hat. Der Monat März ist dann ein Ferienmonat und anschließend wandern die Kinder wieder 8 Tagesmärsche in ihre Sommerschule nach Lo Manthang.
Sie wandern 8 Tage?
Jörg Mangold: Zum Teil können sie jetzt die Strecke von Pokhara nach Jomson, etwa 3 Tage zu Fuß, wenn Geld vorhanden ist mit einem Jeep bewältigen. Auch diese Straße ist unterbrochen und man muss zwischenzeitlich 2 Stunden laufen. Jomson ist auch mit einem Propellerflugzeug erreichbar, es besteht jedoch weiterhin kein motorisierter Zugang ins Upper Mustang. Es ist immer noch die Ära von Tierkaravanen zur Versorgung und von langen Fußmärschen, insbesondere wenn man kein Geld hat.
Welchen Eindruck hatten Sie von Ihrem Engagement bei Ihrem Besuch?
Jörg Mangold: Ich war hoch beeindruckt von der familiären Atmosphäre, dem guten Zusammenhalt in dem Schülerkreis von 35 Schülern und dem Engagement und dem Fleiß der Kinder, die um 6 Uhr aufstehen, von 9 Uhr bis 16 Uhr Unterricht haben und dann noch sitzen und lernen in ihren Studierzeiten (vgl. Tagesplan als Link). Gerade im Vergleich zu Zuständen, die ich in Slums und den offenen Straßen von Kathmandu und Pokhara gesehen habe, leben sie auf einer „kleinen Insel“ in einer recht heilen Welt und sind gut versorgt. Es ist jedoch in keiner Weise der Luxus ausgebrochen. So haben wir gerade in dem Besuch jetzt Betten gespendet, da sie bislang auf dünnen Baumwolldecken auf dem kalten Boden schlafen mussten. Nachts wird es etwa 3-4 Grad.
Wie können Sie von Deutschland aus sicherstellen, dass Ihr Geld ankommt?
Jörg Mangold: Wir haben uns vorgenommen allerspätestens jedes zweite Jahr vor Ort zu sein. Jedes Jahr wäre schöner aber der Aufwand aus persönlichem Geld und vor allem auch Zeit ist doch immens, so dass ich das nicht zusichern kann für jedes Jahr. Darüber hinaus haben wir auch Kontaktpersonen, so vor allem eine Koordinatorin in Kathmandu. Amina Bomzan ist Nepalesin, die unser Projekt weitgehend ehrenamtlich betreut. Sie ist hauptberuflich in einer anderen großen NGO (Non Government Organisation)angestellt. Sie ist ein wesentliches Bindeglied gerade aufgrund der Sprache, da sie sehr gut Englisch spricht und als Nepalesin von den Amchis, den Schulgründern, sehr gut angenommen wird als Beraterin. Sie ist sehr gut gebildet in Buchhaltung und Organisation und hier auch eine wichtige Stütze zur Beratung aber auch Kontrolle für die Abläufe in der Schule. Sie hat Zugang zu allen Konten und kann die Kostentransparenz und auch die Transparenz verschiedener Spendereinrichtungen gewährleisten und stellt sie für uns in Berichten dar.
Welchen Anteil Ihres Spendenaufkommens geben Sie für Verwaltung und andere Kosten aus?
Jörg Mangold: Wir können zusichern, dass jeder gespendete Euro 1:1 in Nepal zur Anwendung kommt.
Wie kann das sein? Auch Sie werden Kosten anderer Art haben?
Jörg Mangold: Im Verein arbeiten alle ehrenamtlich. Meine Besuchsreise zahle ich natürlich komplett selbst. Die laufenden Kosten wie Porto, Telefon werden gestiftet. Wir waren bislang äußerst sparsam und die wenigen anfallenden Nebenkosten wie Druckkosten für unser Faltblatt, Gebühren bei Auslandsbanküberweisung werden durch einzelne Mitgliederbeiträge abgedeckt.
Wie sieht die Unterstützung nun konkret aus?
Jörg Mangold: Wir führen derzeit 19 Patenschaften oder Sponsorships für Schüler durch, jeweils in der Höhe von 360€. Bzw. wir vermitteln diese und führen die Organisation durch. Es stehen einzelne individuelle Paten dahinter, die sich entschieden haben, einem Kind über mehrere Jahre eine Ausbildung zu ermöglichen auf diesem Weg. Die Sponsoren werden im Gegenzug über den Fortschritt ihres Kindes in regelmäßigen Abständen mit Report, persönlichen Briefen und Fotos versorgt. Darüber hinaus versuchen wir Spendenaufkommen ebenfalls in Ausbildungsplätze umzulegen oder wie am Beispiel der Betten einzelne Posten zur Verbesserung der Ausrüstung zu liefern.
Welchen Bedarf, welche Wünsche haben Sie?
Jörg Mangold: Im Moment ist unser erklärtes Ziel, dass jedes Kind an der Schule einen Sponsorship bekommt, da dies die Finanzierung der Schule, die bislang Jahr für Jahr in der Luft hing und mühsam durch Einzelspenden gesichert werden musste, dann zumindest zu 2/3 auf festeren Füßen steht. Im Moment haben wir knapp über die Hälfte dieses Ziel erreicht mit unseren 19 festen Patenschaften. Wir suchen ganz aktuell 10 weitere für bestehende Schüler und 5 für neu aufzunehmende im Schuljahr ab April 2010. Ein besonderes Anliegen sind mir 6 Schüler, die gerade ihren Abschluss in der tibetischen Medizin machen und die Klasse 10 schon abgeschlossen haben im Herbst. Sie möchten unbedingt sowohl ihre schulische Ausbildung weitermachen und die Klassen 11 und 12 in einer Schule in Pokhara besuchen und vor allem den nächsten 2jährigen Kurs in der tibetischen Medizinausbildung, der sie dann zum Health-Assistent bringt. Diese gesamte Ausbildungsstufe braucht noch finanzielle Absicherung. Hier sind neue Lehrer notwendig mit höheren Gehältern. Es ist wieder die Grundabsicherung der Lebenshaltungskosten zu tragen und die Schulgebühr für die 11. und 12. Klasse in der externen Schule.
Was macht der Verein wenn Ihr Ziel erreicht ist?
Jörg Mangold: Zum Ersten wären wir äußerst froh und glücklich und freuten uns mit unseren nepalesischen Freunden. Zum Anderen haben wir dann auch jedes weitere Jahr dafür zu sorgen, dass neue Schüler aufgenommen werden und finanziert werden können. Aber nach Westen von Mustang aus liegt das Dolpo. Das ist eine noch abgelegenere und noch einsamere Gegend, in der der Bedarf letztlich noch größer ist als in Mustang. Ich habe bereits erste Vorkontakte in dieser Region auch zu anderen Organisationen, die dort beginnen, aktiv zu werden geknüpft und will mir unbedingt in den kommenden Jahren mit einer Reise diese Gegend anschauen und damit vielleicht auch neue Unterstützungsprojekte planen.
Vielen Dank für das Interview.
Jörg Mangold: Danke Ihne